Mardisch

von Friedrich Roth

(erschienen in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Dezember 2002)

Die Kirche von Mardisch in Siebenbürgen

Geschichtliches

Mardisch, sächsisch Muardesch, ungarisch Mardos, rumänisch Moardãs

In einem schönen, rechten Seitental des Kaltwasserbaches, knapp 20 km östlich von Marktschelken Richtung Agnetheln, zwischen bewaldeten Höhen liegt die kleine Gemeinde Mardisch. Agnetheln und Mediasch sind ca. 30 km, Hermannstadt etwa 50 km entfernt.

Diese Lage, in einer halbinselförmigen Ausstülpung des Königbodens in das Weissenburger Komitat, hat die geschichtliche Entwicklung des Ortes bis ins 18. Jahrhundert geprägt. Mardisch musste über Jahrhunderte seine Freiheit in harten Auseinandersetzungen gegen aggressive Unterwerfungsversuche der Komitatsadligen verteidigen. Das hat menschliche und große materielle Ressourcen gekostet, die Mardisch in seiner Entwicklung oft ausgebremst haben.

Der Name scheint kumanischen Ursprungs zu sein und ist über ungarische Vermittlung von den Sachsen, zuerst als Ardesch, später als Mardisch übernommen worden. Die Bedeutung des Namens ist aber nicht eindeutig ermittelt worden. In den uns heute bekannten Urkunden wird Mardisch 1373 zum erstenmal erwähnt: Ein gebürtiger Mardischer, Michael de Ardesch, Pfarrer im benachbarten Martinsdorf und Kaplan des ungarischen Königs Ludwig I., erhielt von Papst Gregor XI. die Pfarrstelle in Zied, sobald diese frei werde. Am gleichen Tag betraute der Papst Pfarrer Michael mit der Vertretung der Stadtpfarrstelle in Kronstadt, solange die Stelle unbesetzt sei. Die Gründung der Gemeinde scheint, nach Pfarrer Stiehler, der in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine beachtliche Monografie zu Mardisch geschrieben hat, aber etwa 100 Jahre älter zu sein.

Kirchlich gesehen, gehörte Mardisch zum Schelker Kapitel (1414). Die Pfarrer wurden, dank der Privilegien Karl Roberts von 1315 bzw. 1318, von der Gemeinde gewählt. Der Pfarrer bestellte seinen Capellan, als rechte Hand zur Abnahme der Beichte, für Taufe und Abendmahl. Gemäß einer Aufzeichnung aus dem Jahr 1516 wird der Ort als freie Gemeinde des Schelker Stuhls, das ist der Untere der Zwei Stühle, genannt. Gerichtlich war das Stuhlgericht in Marktschelken in erster Instanz zuständig. Ein etwaiger Appell ging nach Mediasch, an den durch zwei Geschworene der Zwei Stühle verstärkten Magistrat.

Durch die Zugehörigkeit zum Schelker Kapitel, war der Mardischer Pfarrer dem Weissenburger Bischof unterstellt. Zwischen diesem Bischof und den Pfarrern des Schelker Kapitels kam es zu zahlreichen Zehntstreitigkeiten, die oft vom päpstlichen Stuhl entschieden werden mussten. 1414 wird in diesem Zusammenhang Plebanus Bartholomäus von Mardisch erwähnt. Er wirkte zu jener Zeit als Pfarrer der Mardischer Nikolauskirche und war Mitglied der Kapitelabordnung, die Verhandlungen mit dem Bischof führte. 1415 hatte das Schelker Kapitel den Weissenburger Bischof wegen den Zehnteinkünften vor den Papst berufen, der gerade das Konzil von Konstanz leitete. Als wahrscheinlicher Kapiteldechant wird Pfarrer Bartholomäus bei diesem Treffen als erster erwähnt, als Sprecher seiner Delegation. 32 Jahre später kommt ein anderer in Mardisch geborener Pfarrer in einem Zeitdokument vor, als Pfarrer von Neudorf bei Schässburg. Es ist Petrus Jacobi, der als Zeuge vor Gericht auftritt. 1594 wird Christian Barth, als Sohn höriger Eltern in Mardisch geboren. Er wird später, 1647, evangelischer Bischof in Birthälm und stirbt 1652.

Die Gemeinde gehörte schon in jener Zeit zu den kleinsten von 10 Orten im Schelker Stuhl. 1516 fand die erste Bevölkerungszählung statt. Zu jener Zeit hatte Mardisch 40 Wirte, drei Witwen, einen Hirten, einen Müller und einen Schulmeister. Bloß Haschag und Kleinkopisch sind noch kleiner, Kleinschelken und Wurmloch sind die größten Orte des Stuhls. Auf der Siebenbürgen-Karte des Johannes Honterus von 1532 ist Mardisch, als inzwischen kleinster Ort des Schelker Stuhls nicht eingetragen. Es gab im Ort nur noch 35 Wirte. In der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts zahlte Mardisch 1 ¼ "Zahlhäuser", also Steuereinheiten, wobei mehrere Orte des Schelker Stuhls weniger zahlten. Es gibt in einem alten Kirchenbuch eine Inventarliste von 1717, aus der hervorgeht, dass die Kirchengemeinde zu jener Zeit 312 Joch Wald, 16 Joch Pfarrgrund, 16 Joch Predigergrund, 5 ½ Joch Organistengrund und 20 Joch anderen Kirchengrund besaß. Der kirchliche Wald war auf allen Seiten von den Waldungen der politischen Gemeinde schützend umgeben. Diese besaß über 1200 Joch Grund, überwiegend Wald.

Die verschlungenen Wege des berühmt-berüchtigten walachischen Herrschers Vlad Zepes führten 1475 nach Mardisch. Dieser hatte 1462 seinen Thron verloren und saß viele Jahre im Gefängnis von Višegrad und Buda. Nun versuchte er mit Unterstützung des ungarischen Königs Matthias Corvinus den verlorenen Thron in der Walachei wieder zu erkämpfen. Am 4. August 1475 schreibt er aus Mardisch einen Brief an den Hermannstädter Stadtrat. Er unterschreibt, siegessicher, als "Wladislaus Dragwlya, vaivoda partium Transalpinarum".


Schule

Obwohl die Schule in Mardisch, genauer gesagt, ihr Schulmeister erst 1516 erwähnt wird, scheint sie älteren Datums zu sein. Einige der hiesigen Schüler haben später sogar im Ausland studiert. So der spätere Bischof Christian Barth, aber auch schon früher Michael Eckhart de Ardisch. Dieser wurde 1434 an der Wiener Universität immatrikuliert und studierte dort an der Rechtsfakultät. 1848 wurde eine neue Schule gebaut, die 1911 gründlich renoviert werden musste.


Bevölkerung und Wirtschaft

Die Mardischer Einwohner lebten hauptsächlich von der Landwirtschaft. Es gab auch eigene Handwerker. 1516 wird zum Beispiel ein Müller erwähnt. Über 500 Jahre zogen sich die Streitigkeiten um die Hattertteile "Lang Ebene und Firstenthal" mit den Adligen von Rosch hindurch. Die Sage erzählt, dass sogar Maria Theresia in das Geschehen eingegriffen hätte. Einige Jugendliche zogen schon frühzeitig in die Städte. Hanis von Ardyasz war am 19. November 1480 bei der Wache am Schneidertor in Hermannstadt eingeteilt. In jenen Jahren sind auch Mardischer unter den Hermannstädter Schustergesellen zu finden: Mathias, Mathes, Czyrwes von "Ardesch" als auch "Lorentz von dem Ardesch". Anfang des 16.Jahrhunderts wird in Hermannstädter Steuerlisten Petrus Ordischer bzw. Urdischer genannt. Ende des 19., Anfang des 20.Jahrhunderts sind viele Mardischer Jugendliche, sowie ganze Familien nach Amerika ausgewandert. Es war eine Zeit, zu der in Mardisch eine Phase des Stillstands, ja sogar des Niedergangs erlebte und die Zerstückelung des Familiengrundes schon weit fortgeschritten war. 1910 wandte sich die Kirchengemeinde um Unterstützung über den Ozean an die Ausgewanderten. Es kam eine Spende von 500 Kronen zusammen, die bei der anstehenden Kirchenrenovierung eingesetzt werden konnte.

Mardisch wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrmals von Seuchen oder sonstigen Gefahren und äußeren Eingriffen bedroht. Ende des 16.Jahrhundert vergab Fürst Sigismund Bathory widerrechtlich mehrere Hofstellen an seine "Kapitäne". 1678 wütete die Pest. Während der Revolutionswirren von 1848 mussten für einige Wochen fremde Truppen einquartiert werden. Mitte des 19 Jahrhunderts lebten in Mardisch 545 Einwohner. Die Bevölkerung war gemischt: Sachsen, Rumänen, Ungarn, Zigeuner. 1930 waren es 628 Einwohner, 328 davon sind Sachsen und 239 Rumänen.

Nach dem Übertritt Siebenbürgens zu Rumänien gehörte Mardisch zum Großkokler Komitat. Seine Einwohner haben in den Wirren des ersten und zweiten Weltkriegs natürlich auch sehr gelitten. Dazwischen gab es eine wichtige Phase des wirtschaftliche Aufschwungs. Etwa 80 Mardischer haben aktiv am zweiten Weltkrieg teilgenommen. Ein Drittel davon kehrte nicht mehr heim. Andere sind in Gefangenschaft geraten. Die Nachkriegszeit verschlug viele Mardischer nach Deutschland und Österreich, nach Kanada und Amerika. Alle bauten eine neue Existenz auf.

Für die in Mardisch Lebenden gab es bald einen neuen Rückschlag: Ende Januar 1945 kam für viele Männer und Frauen die Aushebung zur Zwangsarbeit nach Russland. Familien wurden für Jahre oder auch für immer zerrissen. In einer Statistik des Bürgermeisteramtes vom 9. November 1946 wird die sächsische Bevölkerung folgendermaßen angegeben: Zu Hause Lebende 262, auf Zwangsarbeit in der U.d.S.S.R. 44, in Deutschland 45.

In Mardisch, wie auch in ganz Rumänien, sollte das neue kommunistische Regime alle Facetten des Lebens umkrempeln. Besonders dramatisch wirkten sich die Boden- und Häuserenteignung aus. Die Menschen wurden bettelarm, ihnen wurde jede Zukunftsperspektive geraubt.

Nach Jahren des Wideraufbaus kam der Umsturz Ende 1989 für alle überraschend. Er hat den letzten großen Umbruch gebracht: die Auswanderung fast aller Mardischer nach Deutschland.


Kirche

Die Kirche in Mardisch wurde im 14.Jahrhundert gebaut und dem Heiligen Nikolaus geweiht. Es ist eine einschiffige gotische Saalkirche mit Rippengewölbe im Chor. Besonders erwähnenswert ist das Sakramentshäuschen auf der linken Chorseite. Im Westen stand der Glockenturm mit Turmuhr und Pyramidendach. Auf der Holztüre des Südeingangs befindet sich die Inschrift: "Martinus Eccardt 1747". 1874 wurde die Sakristei wegen Baufälligkeit abgetragen. 1880 stürzte der Glockenturm ein. Der Rundturm im Nordosten diente fortan als Glockenturm. Der Altar wurde 1789 von einem gewissen Petersberger für 421 fl erstellt. Das Hauptbild mit der Kreuzigung stammt von 1700. 1913 und 1959 wurde die Kirche umfassend renoviert.

Die Orgel wurde von dem bekannten siebenbürgischen Orgelbauer Samuel Mätz gebaut. Sie hat 10 Register ohne Pedal. Der Hermannstädter Orgelbauer Emanuel Hradik hat sie 1873 renoviert. Im ersten Weltkrieg wurden die Prospektpfeifen für Kriegszwecke konfisziert. Erst 1963, während einer Generalrenovierung, konnten sie ersetzt werden. 1993 wurde die Orgel nach Oradea verkauft.

Eine sehr hohe Umfassungsmauer umgab die Kirche. Sie scheint auf älterem Gemäuer aufgerichtet worden zu sein. Im Nordosten hat sich ein stark hervorspringender Rundturm erhalten. Er diente im 20.Jahrhundert als Glockenturm. Am südwestlichen Eingang in die Kirchenburg befand sich das alte Rathaus. Dessen Obergeschoss wurde 1914 wegen Baufälligkeit abgetragen. Der untere Teil wurde renoviert. Im Nordwesten der Kirchenburg befand sich das Pfarrhaus. 1912 wurde auch dieses gründlich renoviert, nachdem 1910 der Dachstuhl teilweise eingestürzt war. Eine der Glocken und das Taufbecken befinden sich seit einiger Zeit in Drabenderhöhe. Die Glocke soll dort in dem gerade entstehenden "Turm der Erinnerung" im Altenheim bald wieder zu Gebet und Andacht rufen.


Die Heimatortgemeinschaft

Die HOG Mardisch wurde Ende der 80er Jahre unter dem Vorsitz von Georg Baumann gegründet. Sie umfasst derzeit 180 Familien und wird durch Jahresbeiträge und Spenden ihrer Mitglieder finanziert. Seit 1989 findet jedes zweite Jahr ein HOG-Treffen statt. Das 7. Heimattreffen wurde 2002 in Ingolstadt abgehalten. Die Landsleute leben zerstreut im ganzen Bundesgebiet, wobei die meisten Familien in Bayern, Baden-Württemberg und Drabenderhöhe wohnen.

In Mardisch selbst leben keine Sachsen mehr. Die Kirchengemeinde ist aufgelöst worden. Martin Bruckner koordiniert die Pflege des heimatlichen Friedhofs.

Seit 1993 erscheint jährlich das Mardischer Heimatblatt, in einer Auflage von zuletzt 170 Exemplaren. Zur Zeit wird ein geschichtliches Archiv aufgebaut, aus dem in den nächsten Jahren ein Heimatbuch entstehen soll.

Friedrich Roth



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Dokument: ../orte/mardisch/index.html, Autor: Dirk Beckesch, letzte Änderung am 18.12.02