Abschied von Dr. Arnold Huttmann

von Dr. Robert Offner

Seinen 85. Geburtstag hat der namhafte Kronstädter Herzspezialist und hervorragende Historiker nur um einige Monate überlebt. Am frühen Morgen des 27. August 1997 verstarb Dr. Arnold Huttmann im kleinen Ort Palling im oberbayerischen Voralpenland. Mit ihm ist eine der letzten siebenbürgischen Persönlichkeiten von uns gegangen, die jener Generation angehörte, die beide Weltkriege, die kommunistische Herrschaft in Rumänien und schließlich auch die Auswanderung aus der geliebten Heimat und einen Neubeginn in Deutschland miterlebten.

Medizinhistoriker sollen angeblich in der Öffentlichkeit unter dem Verdacht stehen, daß sie eine Art „Ärzte unter den Historiker, und Historiker unter den Ärzten“, also eine Art berufliche Outsieder für die beiden Berufsgruppen zu sein. Ausgerechnet die Persönlichkeit und vor allem die Lebensleistung Dr. Huttmanns liefert die überzeugendste, eklatanteste Widerlegung dieser Fehlmeinung.

Arnold Huttmann wurde am 4. Januar 1912 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Josef Huttmann und seiner Frau Rosa (geb. Weinreb) in Kronstadt geboren. Er wuchs in der multiethnischen Gesellschaft der Zinnenstadt, in der österreichisch-ungarischen Monarchie auf, wo er als Kind außer seiner deutschen Muttersprache auch die ungarische und rumänische Sprachen erlernte. Arnold hatte eine behütete und glückliche Kindheit und genoß eine Erziehung nach österreichschem Muster, die ihn später zu einem toleranten und weltoffenen, geradezu kosmopolitischen, moralisch integren und prinziepientreuen Menschen werden ließ.

In seiner Heimatstadt besuchte er die Innerstädtische Evangelische Volksschule in der Waisenhausgasse und anschließend von 1922 bis 1929 das deutsche Honterus-Gymnasium, wo er Mitglied des „Coetus Honteri“ war. Nach Ablegung der Reifeprüfung studierte Huttmann von 1929 bis 1935 Humanmedizin an der Deutschen Karls-Universität in Prag. Während der letzten drei Studienjahren war er gleichzeitig als Assistent an der Propädeutischen Klinik in Prag tätig, wo er sich - unter der Leitung von Professor Julius Rihl - in erster Reihe der Kardiologie und der Elektrokardiographie widmete. Nach der Promotion zum Doktor der Medizin erfolgte 1936 ein sechsmonatiger Aufenthalt in Wien, zwecks Spezialisierung auf dem Gebiet der Kardiologie beim Professor Wilhelm Raab.

Im Oktober 1936 kehrte Dr. Huttmann nach Kronstadt zurück, absolvierte seinen Militärdienst in Bukarest und gründete ein Jahr später alsr junger Arzt seine Privatpraxis für Innere Medizin und Herzkrankheiten in Kronstadt, die bis zur „Verstaatlichung“ 1956 bestand.

Von Januar 1938 bis Dezember 1944 arbeitete er hauptamtlich in der Kardiologischen Abteilung der Kronstädter Poliklinik der Sozialorganisation O.S.E. Während der Kriegszeit war er mehrfach, insgesamt zweieinhalb Jahre als Militärarzt in der rumänischen Armee tätig. In den Jahren 1946 bis 1949 erfolgte eine Tätigkeit als konsultierender Arzt für Kardiologie und Rheumatologie an der Poliklinik der Krankenkasse in Kronstadt.

Schließlich gründete Dr. Huttmann am 1. April 1949 im Krankenhaus Nr. 1 eine kardiologische Abteilung mit 20 Betten, die allmählich unter seiner zielstrebigen und kompetenten Leitung als Chefarzt bis auf 50 Betten wuchs. Seine Herzabteilung zählte damals zu den drei bedeutendsten kardiologischen Einrichtungen in Rumänien (neben Bukarest und Klausenburg), deren Ansehen vorwiegend auf den von Dr. Huttmann erbrachten medizinischen, didaktischen und Forschungsleistungen basierte. Er gehörte übrigens zu den wenigen Chefärzten, die den Mut hatten, in der stalinistischen Ära den Eintritt in die Kommunistische Partei entschlossen abzulehnen.

Huttmanns ärztliches Denken und Handeln war von Anfang an betont wissenschaftlich ausgerichtet. Während bis in die Mitte der fünfziger Jahre der Hauptschwerpunkt seiner zahlreichen Forschungen und Publikationen der Kardiologie und insbesondere der Elektrokardiographie, der Rheumatologie und der Balneologie galt, wandte er sich immer intensiver medizinhistorischen, philologischen und heimatkundlichen Studien zu. Der vielseitige Mediziner entfaltete bald eine rege publizistische Tätigkeit, indem er sowohl in der deutschsprachigen und internationalen Presse, aber auch in enger Zusammenarbeit mit anderen Kollegen (z.B. G. Nußbächer, J. Spielmann, S. P. Binder, Izsák, E. Bologa, G. Barbu u.a.) auch in rumänischer und ungarischer Sprachen wertvolle Beiträge zur Landeskunde, Kultur- und Medizingeschichte Siebenbürgens und Rumäniens veröffentlichte.

Dr. Huttmann wurde Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften und Vereinen, und gehörte 1955 zu den Gründungsmitgliedern der „Rumänischen Gesellschaft für Medizingeschichte“, deren Jahrestagung 1963 in Kronstadt unter der Mitwirkung von Dr. Walter Fabritius, Dr. Szabó Zoltán, Dr. Emil Bologa und seiner Person abgehalten wurde.

1950 heiratete Dr. Arnold Huttmann die aus Bessarabien stammende Krankenschwester Vera Lesanu. Bei aller Verschiedenheit von Arnold und Vera und trotz vieler äußeren Widrigkeiten, wurde es eine außergewöhnlich gute und harmonische Ehe, die sich in einer wirklichen, täglich gelebten Toleranz auszeichnete. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne (Georg Valentin und Peter Paul) hervor, die beide später ebenfalls, sehr zur Freude des Vaters, Ärzte geworden sind.

Im Mai 1973 konnte Dr. Huttmann nach 13-jähriger Wartezeit zusammen mit seiner Familie in die Bundesrepublik Deutschland auswandern. Sie ließen sich in Aachen nieder, wo sie Freunde und Verwandte hatten. Hier arbeitete er noch sieben Jahre lang als Vertrauensarzt der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz. Er unternahm viele Reisen und bewältigte gerade in den siebziger Jahren ein großes, vielseitiges Arbeitspensum, das ihm wohl auch über den schweren Verlust seiner Gattin durch Krebs im Jahr 1975, hinweghalf. Trotz seiner zeitintensiven Tätigkeit bei dieser Anstalt publizierte er bald wichtige Beiträge zur Medizingeschichte seiner Wahlheimat, des Aachen-Lütticher-Raumes. Mit großem Engagement beschäftigte er sich in den siebziger und achtziger Jahren mit der Hospitalgeschichte in der Euregio Maas/Rhein und der traditionsreichen Badegeschichte Aachens. Bedeutungsvoll wurde auch seine Untersuchung von antiken römischen Säuglingstrinkgäfäßen aus dem Rheinland auf ursprüngliche Inhaltsreste mit Hilfe biochemischer Methoden. Gleichzeitig vernachlässigte er aber nicht die Medizingeschichte seines Heimatlandes, indem er kurz nacheinander mehrere bedeutende Beiträge und Handbuchartikel über die Geschichte der Medizin in Siebenbürgen veröffentlichte.

Bereits kurze Zeit nach der Einreise nach Deutschland wurde Dr. Huttmann Mitglied im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und gehörte 1975 zu den Gründungsmitliedern der Sektion Naturwissenschaften der AKSL in Bad Godesberg und war seither über viele Jahre für den Fachbereich Medizin- und Pharmaziegeschichte zuständig. Seine zahlreichen Vorträge an den verschiedenen Tagungen des AKSL haben zur Bereicherung dieser Veranstaltungen entscheidend beigetragen. Viele seiner Arbeiten wurden in den Schriftreihen dieses Vereins veröffentlicht.

Als Medizinhistoriker widmete er sich in über 70 veröffentlichten Arbeiten vorwiegend der Entwicklung der Medizin in Siebenbürgen und Rumänien, ihren Eigenheiten und Hauptvertretern in den verschiedenen Disziplinen. Besonders hervorzuheben wären das reich illustrierte, zusammen mit George Barbu geschriebene Buch (1959) „Die Medizin in der Stadt Kronstadt gestern und heute“ („Medicina in orasul Stalin ieri si astazi“) oder die Arbeiten über Paul Kyr, Thomas Jordanus, Michael Ascanius, Johann Martin Honigberger, Adam Chenot, Valeriu Bologa, Emil Neustädter oder Paracelsus in Siebenbürgen. Ganz besonders wertvoll ist die 130 Seiten umfassende Studie „Grundzüge einer Medizingeschichte Siebenbürgens“ (Böhlau, 1979), die bislang als bedeutendste deutschsprachige Kurzgeschichte der Medizin Transylvaniens gilt. Einige weitere wichtige Veröffentlichungen sind „Johannes Honterus und die Medizin“ (1961), „Blätter aus der Geschichte der Siebenbürger Sachsen“ (1968), „Die Anfänge der städtischen Apotheke in Kronstadt“ (1962), sowie „Der Kronstädter Arzt und Medizinhistoriker Dr. Eduard Gusbeth“ (1984) ohne die zahlreichen ebenfalls wertvollen Beiträge zur Buch- und Druckgeschichte, Honterus-Forschung, und die ca. 80 rein medizinischen und kardiologischen Publikationen, Buchbesprechungen, Vorlesungen auch nur auswahlmäßig zu erwähnen.

Der berufliche Neubeginn in Deutschland bedeutete für den nunmehr 64-jährigen Dr. Huttmann auch den Beginn seiner eigentlichen akademischen Karriere. Für ihn wurde ein alter Traum wahr, als er ein Gebiet, das er ein Leben lang liebevoll gepflegt hat, ab dem Wintersemester 1976/77 als Lehrbeaufrtagter das Fach „Geschichte der Medizin“ an der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen vertreten durfte. Die Hochschule ehrte ihn für seine wissenschaftlichen und didaktischen Verdienste, indem er 1979 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Seit 1981 übernahm er am neugegründeten Lehrstuhl für Geschichte der Medizin in Aachen bis 1987 die Vorlesung „Einführung in die Medizin“ und Lehrveranstaltungen zur Entwicklung der Kardiologie und Balneologie. Unter seiner Leitung sind in Aachen 47 medizinische Doktordissertationen abgeschlossen worden. Auch beteiligte er sich jahrelang am Ausbildungsprogramm für angehende Badeärzte am Institut für Balneologie in Aachen.

Erst im Oktober 1991 fast 80-jährig verließ Prof. Dr. Huttmann schweren Herzens und nach langem Zögern die Lehrtätigkeit und damit auch die ihm nach Kronstadt als „zweite Heimat“ liebgewordene rheinische Kaiserstadt Aachen, um auf Drängen seines älteren Sohnes, des Augenarztes Dr. med. Georg V. Huttmann hin, in dessen Nähe in das oberbayerische Traunreut zu ziehen. Bald überstürtzten sich aber die Ereignisse und es kam nacheinander zu drei schweren Operationen, die ihn so schwer mitnahmen, daß er pflegebedürftig wurde. Allmählich stabilisierte sich zwar sein Gesundheitszustand, nur die schon einige Jahre zuvor langsam einsetzende Gehbehinderung schritt weiter fort. Die letzten 5 Jahre seines Lebens verbrachte er in einem Kreisaltenheim in Palling, in der Nähe von Traunreut, wo er nicht nur von seinen Kindern und Enkelkindern, sondern auch von vielen Freunden und Ex-Doktoranden regelmäßig besucht wurde. Trotz der schleichend zunehmender Altersschwäche lebte er bis zuletzt zufrieden und bescheiden; er las und korrespondierte viel und verfaßte hier in Ruhe und Beschaulichkeit seine letzten Werke.

Prof. Dr. Arnold Huttmann hat nach einer langen aber erfüllten Lebensreise das Ziel erreicht, für viele andere als Arzt, Forscher, Humanist, Weltbürger und Mensch ein großes Vorbild gewesen zu sein und sein wertvolles wissenschaftliches Lebenswerk als Vermächtnis an die künftige Generationen weitergegeben zu haben.

Die Naturwissenschaftliche Sektion des AKSL beabsichtigt von den über 190 Publikationen Dr. Huttmanns, die in fast 60 Jahren in den verschiedensten Periodika und Sprachen veröffentlicht wurden, eine representative Auswahl der bedeutendsten - vorwiegend medizinhistorischen und heimatkundlichen - Beiträge als Gedenkband aufzulegen.


Dr. Robert Offner



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Dokument: ../vip/huttmann.htm, erstellt am 16.11.97 von Dr. Robert Offner, zuletzt geändert von Dirk Beckesch am 30.01.03