Es ist Zeit - "Siebenbürgen in Bewegung"

15. Siebenbürgische Ferienakademie in Thalmässing bei Nürnberg

Vom 26.12.2000 bis zum 02.01.2001


Die diesjährige Veranstaltung von Studium Transylvanicum in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde hatte zum Schwerpunktthema Migration als Strukturmerkmal der Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas. Migration, ein heutzutage auf Weltebene viel diskutiertes und brisantes Thema, wird meist mit den politischen Entwicklungen der jüngsten Vergangenheit in Verbindung gebracht. S,ie ist aber ein in der Geschichte schon immer dagewesenes Phänomen, das aber zu verschiedenen Zeitpunkten in ausgeprägterem oder geringerem Maße wahrgenommen wurde. Die dargebotenen Referate, speziell bezogen auf den siebenbürgischen Raum, die die Zuhörer durch alle Zeitepochen der Geschichte führten, haben diesen Sachverhalt sehr gut veranschaulichen können.

Der Chronologie gemäß, begab man sich zuerst ins Altertum mit dem Beitrag von Alexandru Sonoc (Hermannstadt), der die Ansiedlung von norisch-pannonischen Bevölkerungsgruppen zur Römerzeit in Siebenbürgen und der Dobrudscha anhand der Analyse von Grabfunden belegte. Die Thematik hatte aber auch einen aktuellen zeitgeschichtlichen Bezug, handelte es sich doch bei den von Sonoc untersuchten Grabstätten um angebliche Dakergräber, die von der rumänischen Archäologie der Nachkriegszeit manipuliert wurden, um die von der kommunistischen Regierung vertretene Kontinuitätstheorie der dakisch-römischen Bevölkerung auf diesem Gebiet zu unterstützen. Zu derselben Zeitepoche referierte Katja Lasch (München) zur unterschiedlichen Entwicklung in der Urbanisierung der beiden römischen Provinzen Gallien und Dakien. Die Errichtung und der Ausbau städtischer Strukturen hatte einen bedeutenden Einfluß auf den Romanisierungsgrad und die Kontinuität der Bevölkerung auf dem Gebiet dieser Provinzen.

Das Mittelalter wurde eingeleitet durch das Referat von Meinolf Arens (München) zur Migration im Donau-Karpatenraum im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Siebenbürgen als "Nebenland" der großen Reiche war während dieser Zeitspanne Tummelplatz für verschiedene Völkerschaften, die zahlreiche Identitätswandlungen durchliefen. In einen weiteren Beitrag ging Meinolf Arens auf die Wlachen und speziell die Kumanen im Mittelalter näher ein, Volksstämme, die ursprünglich aus dem heutigen Gebiet der Mongolei stammen. Sie siedelten sich im 12.Jh. zum einen in der Moldau und der Dobrudscha an und wurden dort im Laufe der Zeit assimiliert. Zum anderen wurden sie in Ungarn seßhaft, wo sie in einem Gebiet nördlich von Szeged bis in die heutige Zeit noch Reste ihrer Identität bewahrt haben.

Daniel Bein (Hamburg) lieferte eine systematische Übersicht über die Magyaren in Siebenbürgen, deren Einteilung in verschiedene Volksgruppen, regionale Identität, gesellschaftliche Schichtung und Religion.

Von Daniel Ursprung (Zürich) kam eine interessanter Beitrag zur bäuerlichen Migration zwischen Siebenbürgen und den Donaufürstentümern. Er schilderte die Schicksale entlaufener Leibeigener auf der Flucht in ein vermeintlich besseres Leben auf beiden Seiten der Karpaten. Dr. Robert Offner (Speichersdorf) untersuchte die Präsenz siebenbürgischer Medizinstudenten an europäischen Universitäten vom Mittelalter bis 1849 und den späteren beruflichen Werdegang der prominentesten unter ihnen in der Ferne wie in der Heimat. Annegret Barth (Bischofsheim) bot eine detaillierte Darstellung über Leben und Schaffen von Johannes Honterus und die Anfänge der Reformation in Siebenbürgen.

Von wunderschönen Dias begleitet war der Beitrag Hakan Mazgareanu (Nürnberg) über die von berühmten europäischen Schulen geprägten siebenbürgischen Flügelaltäre und deren "Migration" in früherer Zeit von einer Kirche zur anderen sowie in jüngster Zeit zur Aufbewahrung in die Sammlung der Bergkirche nach Schäßburg oder die weniger erfreuliche als Raubgut auf westlichen Absatzmärkten.

Die Entwicklung der neueren Zeit erfaßten zum einen Zoltan Csedö (Neumarkt am Mieresch) in seinem Referat zur Problematik der Auswanderung der bürgerlichen ungarischen Elite Siebenbürgens nach Ungarn und deren Aussichten, sich dort zu integrieren. Zum anderen gab eine von Pfarrer Rainer Guist (Neu-Anspach) geleitete Diskussion zum Thema "Auswanderung und Integration der Siebenbürger Sachsen" eine Anregung zur Selbstreflexion und Auseinandersetzung mit den eigenen damit verbundenen Erfahrungen.

Genauso interessant gestaltete sich das mit viel Bildmaterial unterstützte Referat von Christof Kaiser (Berlin) zum Untergang der ungarischen Adelskultur in Siebenbürgen. Er zeigte dies am Beispiel der Schlösser und Herrenhöfe, deren heutiger Ruinenzustand den einstigen Glanz nur noch erahnen läßt. Abschießend informierte Daniel Ursprung über die neuesten Entwicklungen in der Politik Rumäniens vor dem Hintergrund der im vorigen Jahr erfolgten Lokalwahlen einerseits und der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen andererseits.

Eine willkommene Gelegenheit zur aktiven Teilnahme für jeden der Anwesenden waren die Beteiligung an den Proseminaren und Arbeitsgemeinschaften.

In den Proseminaren waren alle Teilnehmer aufgefordert, anhand des vom Seminarleiter ausgeteilten Begleitmaterials in kleineren Gruppen bestimmte Themen zu behandeln, die danach gemeinsam in der großen Runde besprochen wurden. So untersuchte man unter der Leitung von Daniel Bein mittelalterliche Texte, welche die Herkunft, Selbst- und Fremdbild der Zigeuner im Spiegel der Zeit dokumentieren. Dr. Martin Armgart (Speyer) leitete ein Seminar, das sich mit der mittelalterlichen Ostsiedlung und speziell mit dem Andreanum näher befaßte. Mit Thomas Sindilariu (München) schnupperten die Teilnehmer in die geheimnisvolle Welt der Freimaurer mit Hilfe von Urkunden des Ordens des Heiligen Andreas zu den 3 Seeblättern im Orient von Hermannstadt. In einem weiteren Proseminar ging es um die Situation rumäniendeutscher Literaten nach ihrer Auswanderung in die Bundesrepublik. Dabei wurden unter der Leitung von Crenguta Trinca (Würzburg), Kurt Markel (Bamberg), Doris Binder-Falcke (Düsseldorf) und Ingrid Gabel (Greifswald) nach der Auswanderung verfasste Texte der Autoren Franz Hodjak, Werner Söllner und Herta Müller analysiert.

Die Arbeitsgemeinschaften boten allen Gelegenheit, in lockerem Beisammensein verschiedene nicht schwerpunktgebundene Themenbereiche zu Siebenbürgen zu erkunden. Die "Anfänger" erhielten hier von Ingo Heitz (Aßlar) "Nachhilfeunterricht" in Siebenbürgischer Geschichte, so daß sie mit den "Profis" bei Referaten und Besprechungen mithalten konnten. Die in den vorhergehenden Akademien begonnene Arbeit an einem Gesellschaftsspiel mit Fragen zu Siebenbürgen nimmt unter der engagierten Leitung von Daniel Ursprung langsam Gestalt an. In der AG-Quiz wurden neue Anregungen zu Inhalt und Form der Spiels gemacht. Die Arbeitsgemeinschaft wird auch außerhalb der Ferienakademie ihre Arbeit am Spiel bis zu dessen Fertigstellung fortsetzen. Die Mundart-Unkundigen machten innerhalb der AG "Saksesch" unter der geduldigen Leitung von Andrea Krempels (Oldenburg) und Hans Hedrich (München) erste Zungenverrenkungen beim Zählen, Wochentage-Herbeten und einfachen Dialogen im Siebenbürgisch-Sächsischen zur allgemeinen Erheiterung der "Native Speakers". Ebenso großen Spaß machten die verschiedenen literarischen AGs, wo die Teilnehmer mit ausgewählten Texten von Paul Celan (Crenguta Trinca) und Oskar Pastior (Christine Barth, Erlangen) konfrontiert wurden und in die Grundbegriffe einer literarischen Interpretation eingewiesen wurden.

Und weil die Literaturinterpretationen der größtenteils eher geschichtlich orientierten Teilnehmer oft unfreiwillig Anlass zu Heiterkeit boten, beschlossen die Organisatoren im Rahmen des Silvesterprogramms, ein vom Organisatorenteam aus Bruchstücken der behandelten literarischen Werke neu geschaffenes Gedicht 5 Teilnehmerteams zur freien Interpretation und Darstellung aufzugeben. Diese zeigten dann - jedes Team auf sehr originelle und witzige Weise - daß sie in den AGs gut aufgepaßt hatten.

Die traditionelle Exkursion der Akademie führte in diesem Jahr zum Bayerischen Armeemuseum nach Ingolstadt. In einem einmaligen Erlebnis wurden die Teilnehmer anhand modernster Museumstechnik in einem nachgebauten Schützengraben unterstützt von Bildmaterial und ausgesuchten Ausstellungsstücken über den 1. Weltkrieg informiert.

Erstmalig in das Programm aufgenommen worden war ein Forum zur Vorstellung aktueller wissenschaftlicher Arbeiten und Projekte im Zusammenhang mit Siebenbürgen, die bei den Teilnehmern großen Anklang fand. Sie bot sie Gelegenheit zur Diskussion von Arbeitsthesen, zum Austausch wertvoller Tips über Stipendien, Hinweisen auf Vorarbeiten zu den eigenen Examensthemen, Zugangsmöglichkeiten zu Archiven etc. Dieses Forum wird daher ein fester Bestandteil der künftigen Ferienakademien werden.

Die 15. Ferienakademie war wieder einmal ein voller Erfolg, den Veranstaltern gebührt für ihren Einsatz zum reibungslosen Ablauf ein Riesenlob.

Sich über Siebenbürgen professionell zu informieren und trotzdem viel Spaß haben, alte Freunde zu treffen und neue Freundschaften zu schließen - eine Gelegenheit, die sich allen jungen an Siebenbürgen Interessierten jedes Jahr aufs neue bietet. Informationen über die aktuelle Termine und Veranstaltungen gibt es im Internet unter http://www.sibiweb.de/st/. Wer einmal dort war, wird bestimmt im nächsten Jahr wieder hinfahren. Vielleicht bist D u dann auch dabei...!


Andrea Josof



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Dokument: ../st/sfa_00.htm, Version vom 22.01.01