Urwegen

von Thomas Lutsch

(erschienen in der Siebenbürgischen Zeitung, 15. Juni 1996)

Geschichtlicher Überblick
Urwegen, rumänisch Girbova, ungarisch Szász Orbo. In einer Urkunde vom 31. Mai 1291 werden der Bischof Petrus von Weißenburg, der Comes (Gräf) Daniel sowie der Zimmerman Herbordus die Wrbow (slawisch) und damit erstmalig der Ort Urwegen genannt. Urwegen gehörte zum Mühlbacher (Unterwälder) Kapitel und zum Reußmarkter Stuhl und war eine freie Gemeinde des Königsbodens.

Nach dem Mongolensturm (1241-42) wurde 1280 die Bergkirche als dreischiffige romanische Arkedenbasilika mit Glockenturm errichtet und im 15. Jahrhundert als Wehrkirche ausgebaut. Ende des 13. Jahrhunderts entstand auch mitten im Dorf eine Befestigung, die auf die Existenz eines starken Gräfengeschlechtes schließen läßt. Der große Turm diente anfangs auch als Schule und Pfarrwohnung und wurde später zur Aufbewahrung von Speck hergerichtet.

Auf Urweger Hattert, auf einem bewaldeten Bergkegel, 6 km von der Ortschaft entfernt, befindet sich eine Burgruine im Grundriß von 80 x 20 Metern, mit Mauern aus Bruchsteinen von ursprünglich 4 m Höhe (heute bis zu 2 m hoch) und einer Breite von 1-1,5 m. Da jegliche Urkunden diesbezüglich fehlen, sind sich die Historiker bis heute nicht einig, zu welchem Zeitpunkt sie errichtet wurde und wer ihre Erbauer waren.

Um 1500 wurde in der Gemeinde eine spätgotische Saalkirche errichtet; sie hat eine Länge von 28,5 und eine Breite von 11,5 Metern. Der Chor (8 x 6,2 m) wurde 1743 angebaut. Der reich verzierte Barockaltar der Kirche stammt aus dem Jahr 1747; eine neue Orgel ersetzte 1893 die alte aus dem Jahre 1809. An der Südwand der Kirche befinden sich die Jahreszahl 1599 und dazu die lateinische Inschrift: "Dieses heilige Haus wurde von dem berüchtigten und grausamen Wallachen von jenseits der Berge (gemeint ist der muntenische Fürst Michael der Tapfere) geschändet und ausgebrannt" Von 400 Bewohnern der Gemeinde überlebten damals nur 16 Menschen.

1488 hatte Urwegen 65 Wirte, vier Arme und einen Schulmeister; vier Häuser waren unbewohnt. Nach Großpold war Urwegen die zweitgrößte Gemeinde des Reußmarkter Stuhles. Etwa in dieser Zeit entsteht auf Urweger Hattert das rumänische Dorf Cirpinis mit zwölf Häusern.

Im Jahre 1722 wird die Grundschulpflicht für alle sächsischen Kinder eingeführt. 1758 lassen sich acht Familien aus Österreich in Urwegen nieder. 1819 wird im Gedenkbuch des Bezirkskonsistoriums Mühlbach ein Blasinstrumentenchor mit zehn Bläsern in Urwegen genannt. 1866 erfolgte der Bau einer neuen sächsischen Schule, die 1912 durch einen Anbau und 1975, nach der Einbeziehung auch der rumänischen Schüler, noch einmal erweitert wurde.

Die Bergkirche und ihr Glockenturm brannten am Weihnachstabend des Jahres 1870 nieder; den Brand hatten Jugendliche beim "Fackelschwingen", einem alten Weihnachtsbrauch, unvorsichtigerweise ausgelöst. Das vom Brand stark beschädigte Dach der Kirche und die Seitenschiffe wurden 1872 abgetragen. Danach wurde 1879 ein neuer Glockenturm (60 m hoch) im Burgfried errichtet und darin eine Turmuhr aus Wien eingebaut, deren Ziffernblätter 1970 eine elektrische Beleuchtung erhielten.

Aus dem Jahre 1883 liefert eine Statistik genaue Daten über die Vermögensverhältnisse in Urwegen: Der Gemeindehattert verfügte über 6898 Joch (1 Joch = 0,5757 ha), von denen 2130 Ackergrund, 180 Weinberge, 613 Wiesen und Gärten, 3038 Wald und 937 Hutweide waren. Wald und Weide waren Eigentum der Gemeinde, der Rest war zu 90 Prozent in sächsischen und zu 10 Prozent in rumänischen Besitz.

Im Jahre 1880 gab es in Urwegen eine "Liedertafel", 1885 wurde die Freiwillige Feuerwehr gegründet, 1888 der Spar- und Vorschußverein, Ende des Jahrhunderts der Frauenverein und die Schwesternschaft.

Aus Amerika über Frankreich eingeschleppt, erreichte die Reblaus 1898 auch Urwegen. Nach und nach mußten die Weinberge ausgerodet und neu bepflanzt werden. Kinderreichtum (4-7 Kinder pro Familie) trug mit dazu bei, daß sich Armut ausbreitet. Einziger Ausweg schien für viele die Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Von den rund 80 Auswanderern aus Urwegen verblieben 26 Jungen und 24 Mädchen für immer in den USA.

Im Jahre 1904 erfolgte der Bau des Gemeindehauses, 1907 die Gründung des Konsumvereins und des Kindergartens. Im Zuge der Agrarreform von 1923 erheilten vorwiegend mittellose Rumänen je Familie drei Joch Grund von der Hutweide zugeteilt. Von den rund 3000 Joch Gemeindewald mußten 600 Joch an Poiana und 500 Joch an Cirpinis abgegeben werden. 1930 wurde der sächsische Gemeindesaal errichtet, 1935 der elektrische Strom in der Gemeinde eingeführt. Zwischen 1930 und 1939 lebten in Urwegen rund 1100 Sachsen.

Im Ersten Weltkrieg waren von 90 eingezogenen Männern 32 an der verschiedenen Fronten Europas gefallen. Im Zweiten Weltkrieg fielen in Rußland neun Sachsen als rumänische Soldaten. Von den 116 Männern, die 1943 zur Deutschen Wehrmacht eingerückt waren, fielen nochmals 27 an den verschiedenen Fronten des Krieges. Im Januar 1945 wurden 106 Frauen und 68 Männer zur Zwangsarbeit nach Rußland verschleppt, die meisten von ihnen erst nach fünf Jahren entlassen. In den sowjetischen Lagern starben neuen Frauen und elf Männer. Ebenfalls 1945 wurden der Grund und Boden sowie die Höfe der sächsischen Bauern enteignet. Erst zehn Jahre später durften sie ihre inzwischen verwahrlosten Häuser wieder in Besitz nehmen. Im Jahre 1950 wurden in Urwegen 830 Sachsen gezählt; ihre Anzahl stieg bis 1970 erneut auf über 1050.

Ackerbau und Viehzucht waren zwar wichtige Erwerbszweige in Urwegen, die Haupteinnahmequelle aber stellte der Weinbau dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte dann auch das Handwerk einen starken Aufschwung; die Urweger Handwerker waren weit über den Landkreis hinaus geschätzt. Durch Fleißund Flexibilität, den Verhältnissen angepaßt, stellte sich ein bescheidener Wohlstand ein.

1960 durften erstmals nach 17 Jahren ehemalige Urweger, die durch Krieg und Verschleppung nach Westeuropa verschlagen worden waren, ihre Angehörigen in der Heimat besuchen. 1970 fand in Urwegen das erste sächsische Trachtenfest nach dem Krieg, 1982 das Dritte siebenbürgisch-sächsische Mundartdichtertreffen statt. Ab 1973 jedoch kehrten die eingesessenen Urweger zunehmend von ihren Besuchen in Deutschland nicht mehr zurück. Heute leben in Urwegen noch 34 Sachsen als Mitglieder der evangelischen Kirche und 14 Evangeliums-Christen. Es sind vorwiegend alte Leute. Nachdem Pfarrer Ludwig Klaster (1968-1987) und Pfarrer Gerhard Gabel (1987-1991) ebenfalls auswanderten, wird der Gottesdienst von Seelsorgern aus anderen Gemeinden abgehalten.

Die Urweger in Deutschland
In Deutschland leben 50 Prozent der Urweger in München und Umgebung, 25 Prozent in Baden-Württemberg, 17 Prozent in Nordrhein-Westfalen und 8 Prozent verteilt in den restlichen Bundesländern sowie in den USA und in Österreich. Die Nachbarschaft München, zu der ein Chor und eine Musikkapelle gehören, entfaltet eine rege Kulturtätigkeit. Die alljährlichen Treffen der Urweger fanden lediglich 1982, 1983 und 1987 in Stuttgart, sonst immer in München statt, so auch 1991 die 700-Jahrfeier der Gemeinde. Urwegen stellt 1988 und 1995 die siebenbürgisch-sächsische Trachtengruppe beim Umzug zur Eröffnung des Münchner Oktoberfestes.

Die HOG Urwegen finanziert aus Spenden die Friedhofspflege in der Heimatgemeinde mit 2000 DM jährlich. In diesem Jahr wurden zusätzlich 600 DM für die Renovierung des Friedhofseinganges aufgebracht.

Die Gemeinde ist in ganz Siebenbürgen durch die Sage der "Braut von Urwegen" bekannt: zwei Lieder, ein Gedicht und ein Theaterstück künden gefühlvoll von ihr. An Urwegen erinnern drei Heimatbücher.



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Dokument: ../orte/urwegen/index.html, Autor: Monika Ferrier, letzte Änderung am 23.07.98 Dirk Beckesch