Ein Beitrag von Luigi Venturini
Mühlbach (Sebes Alba, Szaszsebes) liegt im SW Siebenbürgens (Rumänien) in der Nähe der Mündung des Mühlbaches (Râul Sebesul) in den Marosch (Muresul). Die Stadt ist in eine Berglandschaft gebettet, die nur diesem Teil Siebenbürgens (Transsilvanien) typisch ist. Im N und NW erstreckt sich das Siebenbürgische Erzgebirge, die Westkarpaten. Im S erhebt sich das Mühlbacher Gebirge (Muntii Sebesului) mit seinem höchsten Gipfel, dem Surianul, 2061 m. Diese Berge setzen sich nach 0sten im Zibingebirge (Muntii Cibinului) fort, unter dessen höchstem Gipfel, dem Cindrelul 2245 m, auch der Mühlbach entspringt. In seinem oberen Lauf ist er ein reißender Gebirgsfluß, der früher als Transportweg für Holzstämme (Flößerei) benutzt wurde und ein malerisches Tal in einer idyllischen Landschaft benutzt (Valea Frumoasei). In unmittelbarer Nähe der Stadt, im NO, ist eine geologische Seltenheit zu sehen: der Rote Berg (Râpa Rosie). Es handelt sich um einen von Erosion geprägten Bergabschnitt, der aus eisenoxydhaltiger Tonerde besteht und nach jedem Regen seine Rotfärbung ändert
WIE KAM ES ZUR GRÜNDUNG DIESER STADT?
Um die Mitte des 10.
Jahrhunderts herrschte in der westlichen Provinz des riesigen, gefürchteten
Petschenegenreiches auf seiner "Weißen Burg" der Khan
Gyula. Unter dem Einfluß Byzanz hatte er sich mit seiner Familie 948
taufen lassen und ließ sich auch dazu herab, seine Tochter Sarolta
dem ungarischen Herzog Geza zur Frau zu geben.
All diese Steppenvölker
hatten die Gewohnheit, zur Sicherung ihrer Grenzen weite, menschenleere
Zonen - Deserta - anzulegen. In dieser westlichen Grenzzone des
Petschenegenreiches hatten sich im 10. Jahrhundert die Ungarn
niedergelassen, von ihren Nachbarvölkern mehr geduldet als anerkannt
und nur durch den Zufall politischer Umstände vor der Vernichtung
bewahrt. Die Petschenegin Sarolta nimmt die Führung Ungarns in die
Hand, ihr Gatte und ihr Sohn werden 973 Christen und das Land öffnet
sich christlichen Glaubensboten. Diese kommen aus Byzanz, aber auch aus
Rom und besonders vom Bistum Passau. Nach dem Tod der Sarolta wird der
Einfluß Passaus stärker. Der Herzogsohn heiratet 995 die
bayrische Herzogstochter Gisela und wird im Jahr 997 zum König gekrönt
unter dem Namen Stefan I. Es werden wohl die ritterlichen Gefolgsleute und
Ratgeber seiner Gattin Gisela gewesen sein, die Stefan zu einer äußerst
gefährlichen Unternehmung veranlaßten: er überfiel die
,,Weiße Burg" und ließ deren rechtmäßigen
Besitzer, seinen eigenen Vetter Gyula den Jüngeren mit dessen Familie
gefangennehmen. Die grausame Austilgung aller Thronprätendenten, der
Haß auf Fremde und Christen führt noch zu Stefans Zeiten zu
Unruhen und läßt Ungarn in Krieg und Blutvergießen
versinken.
Unter Ladislaus wird die Macht des Königshauses
wieder hergestellt und 1083 erfolgt die Heiligsprechung Stefans I. Die
Petschenegen lassen sich den Verlust der Weißen Burg nicht gefallen.
Nun wird von beiden Seiten das Desertum ausgebaut. Es hat aber eine
Schwachstelle: die alten Verkehrswege über das Mühlbacher
Gebirge, wo die Karpaten leicht zu überqueren sind. Diese Wege sollen
Mühlbach auch in der Zeit der Türkenüberfälle zum Verhängnis
werden.
Um diesen Weg vor Eindringlingen abzuschirnen, werden die
Grenzwächterkolonien der Szekler angelegt und auf einer größeren
Flußinsel entsteht eine Siedlung, die nach dem Muster jener Steppenvölker,
die noch keine steinerne Burgen bauen konnten, mit Erdwall, Wassergraben
und Palisade befestigt war, und die ihren späteren Namen
wahrscheinlich von einer szekler Stammesbezeichnung abzuleiten ist: der
Ort Sabesus.
Diese Art der Grenzsicherung reicht aber bald
nicht mehr aus, denn die Petschenegen haben von Byzanz ihre Lehrmeister in
Kriegs- und Waffentechnik erhalten. So entstehen an den strategisch
wichtigen Ausgängen der Gebirgswege, die sieben Steinburgen von Orlat
bis Schebeschel. Es gibt leider keine zeitgenössische Nachrichten,
wie und durch wen diese Steinfestungen gebaut wurden. Bei ihren ersten
urkundlichen Erwähnungen sind sie schon alt und zum Teil verfallen.
Ausgrabungen haben ergeben, daß sich im Bereich der Jakobigasse,
aber auch in dem der Petersdorfer Gasse alte deutsche Siedlungen befunden
haben. Die Jakobskapelle neben der evangelischen Kirche steht auf dem
Platz einer viel älteren Kapelle, die nicht wie sonst üblich in
Ost-West-Richtung gebaut ist, sondern mit ihrer Achse zur Jakobigasse hin
zeigt Sankt Jakobus ist bekanntlich der Schutzpatron deren, die eine Reise
beendet oder vorhaben. Beim Bau der späteren Marien-Basilika wurden
Gräber eines Friedhofs entdeckt, der sich weit westlich der
Jakobuskapelle erstreckte und deren Bestattungsart den Steinplattengräbern
des 11. Jahrhunderts ähnelt.
In den Jahren 1960-1962 wurden gründliche
Restaurierungsarbeiten an der evangelischen Kirche durchgeführt und
im Unterbau des Eckturmes der Kirchenburg, der heutigen Küsterwohnung,
fand man Spuren einer früheren Kapelle. Besteht eine Beziehung zu den
Häusern in der Petersdorfer Gasse? Ist dies vielleicht einst die
Sankt Petrus-KapeIle gewesen? Bestehen sogar Verbindungen zum Erbauer der
Burg von Sascior die in alten Urkunden Castrum Petri
(Petersburg) genannt wird? Lauter offene Fragen. Sicher ist aber, daß
es vor Geisa II. schon Deutsche als Hospites gegeben hat.
Die
Petschenegen wurden durch ihre Kriege mit Byzanz, mit den Russen und den
stammverwandten Kumanen so geschwächt, daß die ungarischen Könige
einen weiteren Vorstoß wagen konnten: die Szekler Grenzwächter
wurden bis an die Ostkarpaten verlegt und in das Desertum wurden deutsche
Kolonisten geholt. In Mühlbach legen sie ihre ersten Siedlungen im
Bereich der Rosengasse an. Dieser Name hatte, ebenso wie der Rosenanger in
Kronstadt und Hermannstadt seine eigene Bedeutung: Gerichtsplatz, Richtstätte
und Friedhof.
In Mühlbach gab es auch einen Galgenberg hinter
dem sich das Rosenfeld befand. Die Deutschen Siedler brachten ihr eigenes
Recht mit und auch ihre eigenen Siedlungsformen: die dem rheinischen Raum
entsprechenden langgestreckten Grundstückparzellen Sie bauten ihre
eigenen Kirchen und umgaben ihre Siedlung mit einem kräftigen
Schutzwall. In der Terra Syculorum Terrae Sebus wohnten immer
noch die Szekler, auch nachdem die Jakobigasse in den Schutzwall der
Neusiedlung einbezogen worden war und die Petrigasse angelegt wurde. Erst
nach 1225 zogen sie ab und machten die Straße für die deutschen
Siedler frei. Der Name der Platae Siculorum ist heute noch den Mühlbachern
bekannt.
1241 (Schlacht von Wahlstatt/Liegnitz in Schlesien) treffen
die Verheerungen des Mongolensturms auch einen großen Teil Europas.
China, Mittelasien, Rußland und das Kalifat in Bagdad ist schon
erobert und der Vorsturm geht über Ost-und Mitteleuropa weiter.
Nachdem Hermannstadt vernichtet wurde, kommen die Heere des Hulagus und
Buri und verwüsten auch Mühlbach. Die Stadt erholt sich wieder.
Die ursprünglich zweitürmig geplante Basilika wird als einfache
eintürmige beendet. Zwischen 1300 und 1320 entsteht das
Dominikanerkloster. Die Anlage von zwei Wassermühlen macht den Ausbau
des Mühlgrabens (Mühlenkanals) nötig. Mühlbach zählt
zu dieser Zeit 2000 Einwohner, etwa ebensoviel wie Hermannstadt (Sibiu)
und Broos (Orastie). KIausenburg (Kolozsvar, CIuj) und Kronstadt (Brasso,
Brasov) haben aber 3000, Bistritz (Besztercze, Bistrita) über 1500,
Schäßburg (Segesvar, Sighisoara) und Mediasch (Medgyes, Medias)
etwa 1000. Kurz vorher hat der schwarze Tod - die Pest - ihre
Opfer gefordert.
Im Süden wächst die Macht der Türken.
1341 wird Mühlbach zum ersten Mal als Civitas urkundlich bezeichnet.
1387 erhält die Stadt einige Privilegien, so daß am Bau der
Stadtmauer und gleichzeitig an dem der Kirche fortgesetzt werden konnte.
1420 zerstören die Türken das Burzenland, Reps (Rupea), Broos,
dann Kerz und 1438 stehen sie vor den Stadttoren von Mühlbach. Die
Stadt kapituliert und viele Bürger werden in die Sklaverei geschickt
oder getötet.
Von diesem Schlag hat sich die Stadt nie wieder
erholt. Die Bevölkerungszahl ist weit unter 1000 herabgesunken. 1464
wird Mühlbach und die Nachbardörfer vom König Matthias dem
Woiwoden Johann Pongrac verliehen.
1477 wird die Stadt von den Sieben
Stühlen zurückerobert. In den nachfolgenden Jahren werden die
Stadtmauern erhöht und mit weiteren Türmen verstärkt. Die
Wassergräben um die Mauer werden angelegt. Zur schnellen Füllung
der Wassergräben wurde auch ein Teich angelegt der heute noch
vorhanden ist .
Nach der Schlacht von Mohatsch (Mohacs) 1526 gelingt
es Johann Zapolya sich in Mühlbach für längere Zeit
niederzulassen und diese Stadt als beliebte Residenz des Königs von
Ungarn zu machen. Unter diesen besonderen Umständen entschließt
sich Mühlbach als letzte der sächsischen Städte zur
Reformation. Dies geschieht erst in den Jahren 1560-1561 nachdem Honterus
seinen Schwiegersohn Jakob Mellembriger nach Mühlbach schickt. Die
Wirren und wilden Jahre der Fürstenzeit, in denen die Sachsen schwer
um ihre Rechte kämpfen und deren dunkelste Periode die
Gewaltherrschaft von Gabriel Bathori ist, hinterlassen ihre Spuren.
Die
siegreiche Schlacht von Zenta 1697 bringt die Befreiung vom türkischen
Joch. Aber erst nach 1707 sorgt die eiserne Hand des kaiserlichen
Befehlshabers, des Grafen Kornis, für vorübergehende Ruhe. Mühlbach
entwickelt sich in den nächsten Jahren zu einer bedeutenden
Handwerkerstadt. Die in Zünften zusammengeschlossenen Handwerker
waren vorwiegend Kürschner, Schuhmacher, Küfer, Rad- und
Wagenbauer, Metzger und Töpfer. Einen besonderen Rang nehmen auch die
Seifenmacher (Seifenkocher) ein. Das Bäckerhandwerk, welches in der
Schul- und Ratsbackstube betrieben wurde, überließ man den
abgedienten Stadtreitern und den Frauen. Die Stadtverwaltung ist auch
nicht untätig, sie ermöglicht es, daß schon im 16.
Jahrhundert in Mühlbach Bücher gedruckt werden. Das dazu nötige
Papier stammte aus der nahegelegenen Papiermühle in Langendorf
(Lancram). Sogar die Goldwäscherei wird auf Anregung von Joseph
Conrad, der Bruder des Königsrichters, der in der siebenbürgischen
Bergwerkverwaltung eine Schlüsselposition hatte, intensiviert.
Es
fällt auf, daß in den Urkunden die noch zur Verfügung
stehen, nur selten Hinweise auf landwirtschaftliche Tätigkeiten zu
finden sind. Dagegen tritt bei vielen Familien immer öfter die
Bezeichnung vilicus auf, was soviel bedeutet wie Grundbesitzer.
Wie auch in andern Städten beobachtet werden konnte, konzentriert
sich der Bodenbesitz immer stärker in der Hand weniger Familien.
1740 sind die ersten Einwanderer aus dem Markgräflerland zu
verzeichnen. Die Durlacher und Hanauer beginnen ihre Häuser in der
Quer- und Altgasse zu bauen, sie erhalten einen eigenen Vogt,
einen eigenen Richter und eine eigene Schule mit Schulmeister. Durch die
Ansiedlung der Durlacher beginnt das Gewerbe der Weber und Tuchmacher sich
zu verbreiten. Ab dem Jahr 1796 dürfen in den Gruften der
evangelischen Kirche keine Beisetzungen mehr stattfinden. Die vielen alten
Grabsteine werden als Deckplatten der Chorskulpturen verwendet oder
einfach zerschlagen. Das Aufbewahren des Speckes im Kirchturm wurde auch
untersagt mit der Begründung, der Duft des Speckes würde bei den
andächtigen Gläubigen weltliche Gelüste erwecken. 1778 wird
die rumänisch-orthodoxe Kirche gebaut. 1834 wird die Baumwoll-und
Leinenweberei Baumann gegründet und 1843 die Lederfabrik Dahinten.
1840 entsteht in Reußmarkt (Miercurea Sibiului) der
Feldbauern-Untertützungsverein, der Vorgänger des 1843-45
entstandenen Landwirtschaftsvereins. Dieser erhält bei der 1846 in Mühlbach
abgehaltenen Tagung auch seine endgültige Form. Gleichzeitig trifft
sich auch der 1840 gegründete Landeskundeverein und bei dieser Tagung
hält St. Ludwig Roth seinen berühmten Trinkspruch, dessen
Widerhall bis an den Kaiserhof in Wien dringt und ihm die unversöhnliche
Feindschaft der Ungarn einträgt.
Es folgen unruhige Jahre die
ihren Höhepunkt 1848 finden. Der Königsrichter von Mühlbach
wird von den Insurgenten gehängt, die Bewohner der Durlacher Vorstadt
flüchten in die Schluchten des Roten Berges und nach Daia. Der
Pfarrer Michael Wellmann verhindert eine Beschießung und Plünderung
der Stadt, die darauf von den Truppen General Bems besetzt wird. 1864
beginnt der Bau der neuen Schule, deren Wahlspruch Bildung ist
Freiheit lautete. Auf Initiative der Sektion Mühlbach des
Karpatenvereins wird die erste Schutzhütte am Surian im Mühlbacher
Gebirge errichtet.
Ab dem Jahr 1891 ist für die Mühlbacher
das etwa 50 km entfernte Hermannstadt durch die Fertigstellung der
Eisenbahnlinie nähergekommen. Nach dem Bau des Elektrizitätswerkes
(1905-1906) welches mit Wasser aus dem Mühlbach betrieben wird,
beginnen in den Wohnungen Glühbirnen zu leuchten. 1909 bekommt Mühlbach
auch ein neues Rathaus. Dann kommt der Krieg (1914-1918) mit all seinen
Folgen. Die Kirchenglocken werden eingeschmolzen. Erst 1925 werden die
neuen Glocken eingeweiht. Dann kommt der Zweite Weltkrieg und das
Schicksalsjahr 1944. Für die Jahre von 1945 bis in die Gegenwart wird
sich mit Sicherheit jemand finden, der diese Chronik zu Ende schreibt.
Ein gebürtiger Mühlbacher
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