HZ Nr. 1524/23.05.1997

Ständig mit der Mundart beschäftigt

Die siebenbürgisch-sächsische Dialektforscherin Anneliese Thudt wird siebzig

Am 29. Mai 1997 feiert Anneliese Thudt ihren 70. Geburtstag. Die Mundartforscherin des Siebenbürgisch-Sächsischen Anneliese Thudt wurde 1927 in Mühlbach geboren. Nach dem Volksschulbesuch in Leschkirch - der aus Alzen stammende Vater war Rechtsanwalt in Leschkirch die Mutter hier Lehrerin - und dem Gymnasialabschluß 1947 in Hermannstadt, studierte sie zwischen 1947 und 1950 Germanistik zunächst in Klausenburg. Mit der Verlegung der Germanistik nach Bukarest setzte sie hier ihr Studium fort und beendete es 1951. Anschließend war sie beim "Neuen Weg" in der Briefeübersetzerabteilung tätig, gab aber aus Gesundheitsgründen 1952 diese Stelle auf.

Wegen Erkrankung ihrer Mutter (schwerer Beinbruch mit lebenslänglicher Gehbehinderung) übernahm sie deren Lehrerinnenstelle von 1953 bis1956 am sogenannten 2. Zyklus der Leschkircher Allgemeinschule. Von 1956 bis 1958 war sie vertretungsweise Deutschlehrerin an der Brukenthalschule in Hermannstadt.

Von 1956 bis 1986, insgesamt dreißig Jahre lang, gehörte Anneliese Thudt zu den Mitarbeiterinnen des "Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs", das heute dem Institut für Geisteswissenschaften unterstellt ist. War sie bisher mit Leib und Seele Lehrerin gewesen, so kam jetzt die Freude an der Wörterbucharbeit zum Ausdruck. Anneliese Thudt war für diesen Beruf recht gut ausgestattet, da sie von Haus aus sowohl die Alzener als auch die Leschkircher Mundart beherrscht und dazu noch über ein absolutes Gehör verfügt, das sie im Laufe der Jahre weiter geschult hat. Das sind Qualitäten, die den Dialektologen zum sogenannten "Feldhasen" machen, d. h in der Wörterbuchsprache: "Er eignet sich für die Feldforschung."

Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren unternahm sie zusammen mit ihrer Kollegin Gisela Richter Geländeerhebungen in den meisten Ortschaften der siebenbürgisch-sächsischen Mundartenraumes und brachte wertvolle Mundartaufzeichnungen und Tonbandaufnahmen mit. Diese gehören heute zur wertvollen mundartlichen Materialgrundlage des "Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs".

Von Professor Capesius zur Lexikographin herangebildet und an sich selbst hart arbeitend, konnte sie in den Jahren 1970-1986 die Arbeiten am "Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbtich" mit Kompetenz leiten und maßgebend bestimmen, Die von ihr verfaßten Wörterbuchartikel zeichnen sich durch strenges Durchdenken der Wortstrukturen aus. Nebenbei unterstützte sie die jüngeren Mitarbeiter bei ihren Bemühungen und regte sie zu eigenen Arbeiten an.

Dem Band C (Band 4) des "Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs" vehalf sie in langwieriger Arbeit in der Bukarester Druckerei, Druckbogen für Druckbogen, zu seiner Veröffentlichung. Zweimal war es ihr vergönnt, zur Besprechung der Wörterbuchmanuskripte H-J und K zur Deutschen Akademie der Wissenschaften (Berlin und Leipzig) zu reisen. Ins westliche Ausland wurden ihr bedauerlicherweise drei Vortragsreisen nicht genehmigt. Andererseits konnte sie 1969/70 ein Humboldt-Stipendium beim Marburger Sprachatlas wahrnehmen.

Dem Wörterbuchteam wurde jederzeit viel abverlangt; Materialsammlung, Aufbereitung, Redaktion. Dazu kamen noch redaktionelle Arbeiten für Vorgesetzte und die hauseigenen "Forschungen zur Volks- und Landeskunde".

Die administrative Eingliederung des Forschungsinstituts in das Hochschulinstitut von Hermannstadt 1974/75 brachte dann für Anneliese Thudt eine neue Herausforderung. In den siebziger Jahren führte sie im 4. Studienjahr an der Philologiefakultät die von Professor Mihai Isbasescu begonnenen Vorlesungen über Deutsche Genwartssprache weiter; 1976/77 hielt sie ein Seminar über deutsche und siebenbürgische Mundartenkunde im 4, Studienjahr und. leitete 27 Diplomarbeiten über Mundartfragen an.

Trotzdem fand sie Zeit auch für eigene Forschungen. Sie verfaßte neben der Wörterbucharbeit wissenschaftliche Beiträge von bleibendem Wert, die sich hauptsächlich auf phonetische, dialektgeographische. soziolinguistische Aspekte der siebenbürgisch-sächsischen Mundart und auf Wortforschung beziehen.

Wir wollen einige Arbeiten, die 1965-1985 in den "Forschungen zur Volks-und Landeskunde" veröffentlicht wurden, anführen: "Die Mundarten der sogenannten Zipser in Oberwischau" - in Zusammenarbeit mit Gisela Richter; "Eine Besonderheit des siebenbürgischen Konsonantismus"; "Das intervokalische g als Verschlußlaut". "Das Gesetz der.. Auslauterweichung im Siebenbürgisch-Sächsischen"; "Zur sprachlichen Grenzbildung im Siebenbürgisch-Sächsischen"; "Aus der Arbeit des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs. Zur Wortforschung. Speck und Bachfleisch"; "Zur Wortgeschichte von siebenbürgisch-sächsisch Schütze und Mandik"; "Siebenbürgisch-sächsische Lehnwortgeographie. Zur Wechselbeziehung von Nuts/Nuß".

Auf den' Internationalen Linguistenlsongreß (Bukarest 1967) legte sie die sprachsoziologische Untersuchung "Sprachsoziologische Schichtung in einer Lokalmundart" vor (erschienen in: "Resume des communications. Abstracts of Papers. Le congres international des linguistes", Bukarest 1.968).

Aus den. Gemeinsamen Mundartaufnahmen mit Gisela Richter ging ein Märchenbuch hervor, "Der tapfere Bitter Pfefferkorn" (Ersterscheinung 1971), das eine Auflage von über 220.000 Exemplaren erlebte.

Ihre Freizeit für eigene Forschungen wurde knapp als ihre Eltern und eine Tante Pflegefälle wurden und jahrelang ihre Hilfe und Zuwendung benötigten. Auch in dieser schweren, Zeit pendelte sie pflichtbewußt zwischen Wörterbuchstelle und Krankenlager und bewahrte dank ihrer Lebensweisheit Frohsinn und Humor.

Im September 1986, vor ihrem 60. Lebensjahr war sie genötigt, in den Ruhestand zu treten. Das entsprach natürlich nicht ihren Wunschvorstelltungen.

Daß sie im Geist und in der Tat weiterhin beim Wörterbuch lebt, läßt ihr Einsatz dafür bis in die letzten Jahre erkennen. Sie verzettelte neu gesammeltes Wortmaterial zu Hause und bearbeitete Flurnamensammlungen aus 30 Orten, die sie in die phonetische Lautschrift des Wörterbuchs übertrug.

Am meisten war und ist sie an phonetischen Fragen des Siebenbürgisch-Sächsischen interessiert besonders an die dialektgeographischen Gestaltung des siebenbürgisch-sächsischen Mundartenraumes. Heute sitzt sie wieder "wie bezahlt" über der Fertigstellung des Kartenmaterials, das. erstmals auch durchgängige Mundartlinien im Siebenbürglsch-Sächsischen nachweisen wird. Damit soll ein Vorhaben verwirklicht werden, das während der Pflegejahre ihrer Eltern leider auf der Strecke geblieben war (es sollte ihre Dissertation werden).

Das Interessengebiet von Anneliese Thudt beschränkt sich aber nicht nur auf siebenbürgisch-sächsische Mundartforschung. Sie gehört zu den sächsischen Intellektuellen von Hermannstadt, die über erstaunliche kulturgeschichtliche, kunstgeschichtliche, volkskundliche sowie über botanische, Kenntnisse verfügen. Bei ihren Berufskollegen und Freunden ist sie als wandelndes Lexikon bekannt, das über die Pflanzennamen von Abies elba (Edeltanne) bis Zinnia elegans (Zinnie) Auskunft geben kann.

Nach einem Besuch bei Anneliese Thudt in ihrem Haus mit dem gepflegten Blumengärtchen auf der Kleinen Erde geht man bereichert heim - ein weiser Spruch regt zum Nachdenken an, ein vorgeschlagenes Thema kann sich zu einer wissenschaftlichen Arbeit konkretisieren, es ist etwas da, an dem man wahrscheinlich, es nicht beachtend, vorbeigegangen wäre..

Wir dürfen stolz darauf sein, sie zu den unsrigen zu zählen.

Sigrid HALDENWANG


Anmerkung der Redaktion: Sigrid Haldenwang leitet zur Zeit die Arbeitsstelle des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuchs in Hermannstadt.


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Dokument: ../hz/1524_4.htm, letzte Änderung 21.12.97, Autor: Michael Kothen