HZ Nr. 1523/16.05.1997
"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, soeben komme ich von einer Dienstreise aus Bukarest und Warschau zurück. In einem längeren Gedankenaustausch mit dem neuen rumänischen Staatspräsidenten, Herrn Prof. Dr. Emil Constantinescu, brachte dieser zum Ausdruck, daß Rumänien einer baldigen NATO-Mitgliedschaft höhere Priorität einräumt als einem Beitritt zur EU."
So beginnt ein. Schreiben des Präsidenten des Europäischen Rechnungshofes, Prof. Dr. Bernhard Friedmann, der nach seinem kürzlichen Rumänienbesuch an Helmut Kohl schrieb, um ein gutes Wort für den gerade von Deutschland noch recht zurückhaltend behandelten Beitrittskandidaten Rumänien einzulegen. Friedmann nahm unlängst die Ehrendoktorwürde der Universität Hermannstadt in Empfang und soll - so die Hermannstädter "Tribuna" - damals seinem Amtskollegen Ioan Bogdan, dem Chef des rumänischen Rechnungshofs, das Lobbyschreiben an Kohl zugesagt haben.
Bogdan ist nicht der einzige prominente Hermannstädter, der sich für den schnellen NATO-Beitritt stark macht, Paul Philippi, der DFDR-Vorsitzende, hat ebenfalls ein Schreiben an Kohl geschickt, der evangelische Bischof sprach sich für den NATO-Beitritt gegenüber dem Parlamentarischen Staatssekretär Horst Waffenschmidt aus, der Romakönig Florin Cioaba. hat alle Minderheiten Rumäniens zu einer gemeinsamen "euro-atlantischen Lobby" aufgerufen. Am Wochenende sollen durch eine Großoffensive der Präfektur alle in Bukarest akkreditierten Botschafter nach Hermannstadt kommen, und es ist mit Sicherheit anzunehmen., daß ihnen bei dem von Außenminister Adrian Severin im Brukenthalpalais gegebenen Empfang das Thema NATO nicht erspart bleiben wird.
Für den NATO-Beitritt in der ersten Etappe haben schon die Revolutionäre vom 22. Dezember 1989 vor den Bukarester Botschaften demonstriert, dafür unternimmt derzeit der rumänische Ex-König Mihai eine Lobby-Reise durch ganz Europa, und kaum eine internationale Tagung oder ein Wirtschaftsgipfel der in Bukarest stattfindet, bleibt ohne eine Resolution oder zumindest ohne ein paar markige Presseerklärungen wichtiger ausländischer Teilnehmer zur Frage, welche Chancen Rumänien habe, zusammen mit Ungarn, Tschechien und Polen in das Nordatlantische Bündnis aufgenommen zu werden.
Die NATO ist heute in aller Munde, und nichts scheint der von Inflation und Arbeitslosigkeit gebeutelten Nation gerade jetzt so wichtig zu sein wie die militärpolitische Zukunft des Landes. Der kommerzielle Fernsehsender Pro TV lancierte eine Postkartenumfrage zum Thema NATO. Wer von seinem Postamt eine oder. mehrere der Millionen in Umlauf gesetzten Pro-T'V Postkarten für 5.000 Lei kauft, ausfüllt und an den Sender zurückschickt, kann später bei der Verlosung ein Appartement, ein Auto oder eine Milliarde Lei (etwa 250.000 DM) gewinnen. Mit dieser Volksbefragung, deren Ergebnis vorauszusehen ist, will Pro TV nicht nur Lobby für einen schnellen Beitritt machen, sondern auch selbst von der Popularität der Frage profitieren.
Außenminister Adrian Severin hat in seiner knapp fünfmonatigen Amtszeit alles getan, um den Eindruck des duplizitären Lavierens Rumäniens zwischen den militärischen Mächten zu tilgen. Auch Iliescu hatte stets für die NATO plädiert, aber er wollte es sich auch mit den Russen nicht verderben, und. seine erklärte pro-westliche Einstellung entbehrte der Glaubwürdigkeit. Severin beeilte sich zunächst, den noch zu Iliescus Zeiten abgeschlossenen Freundschaftsvertrag mit Ungarn von dem neugewählten Parlament ratifizieren zu lassen, Er entideologisierte die Beziehungen zu Ungarn, deren bisheriges vergangenheitslastiges Motto der "historischen Rekonziliation" er verwarf und pragmatischer unter das Motto einer umfassenden Partnerschaft stellte. Dann zog er die politisch belasteten Botschafter aus den NATO- und EU-Ländern ab und bereitete gleichzeitig den Nachbarschaftsvertrag mit der Ukraine vor der zu Beginn des Monats Mai ohne große Emotionen paraphiert wurde. Die Teilnahme des Verbandes der Rumänienungarn (UDMR) an der neuen Regierung, die Kaderverjüngung in der Armee, die gemeinsamen ungarisch rumänischen Militärmanöver, die Bereitschaft Rumäniens, Friedenstruppen nach Albanien zu schicken, das alles sind deutliche Signale in Richtung NATO. Europäisch, demokratisch, konfliktfrei nach innen und nach außen, militärisch kompetent will Rumänien sich heute mehr denn je zeigen, und das, nicht weil es ein Stützpunkt für Atomwaffen werden will (niemand im Lande würde merkwürdigerweise damit die NATO assozieren) sondern weil die gesamte Bevölkerung Angst hat, erneut in den verhängnisvollen Einflußbereich des großen Bruders im Osten zu gelangen. Rumänien war schon einmal ein geopferter Bauer auf dein Schachbrett der Geschichte. 1945 wurde es in Jalta den Sowjets überlassen. Die führenden Politiker der derzeitigen Regierungspartei PNTCP gehören zu der Generation, die nach dem Krieg fest darauf hoffte, "daß die Amerikaner kommen und uns von den Russen befreien", und. die für ihre Träume mit jahrzehntelangen Gefängnisstrafen büßen mußte. Auch die jüngeren Generationen haben an den rumänischen Armutskommunismus nicht viele positiven Erinnerungen. Dazu kommt, daß die moskaufreundliche und gleichzeitig reformunwillige Politik der sieben Iliescu-Jahre dazu angetan war, die Russophobie der Rumänien eher noch zu verstärken.
Heute hoffen die Rumänen wie vor fünfzig Jahren, "daß die Amerikaner kommen" und Rumänien Einlaß in die verschiedenen Wohlstands- und Sicherheitsklubs gewähren, und genauso ängstlich wie damals ist ihre Hoffnung. Nicht irgendwann, sondern jetzt wie man in die NATO, weil man nicht das geringste Vertrauen hat, daß es noch eine zweite Aufnahmeetappe geben könnte. Nach dem NATO-Gipfel in Mad4d im Juli d. J., so fürchtet man in Rumänien insgeheim, werden sich die Großmächte Osteuropa erneut aufgeteilt haben.
Annemarie WEBER
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