HZ Nr. 1520/ 18.04.1997


Gewissenhaft, aber auch tüchtig?

Theorie und Praxis der Wirtschaftsreform in Rumänien

"Solange die Reform am Fabriktor haltmacht, kann man nicht sagen, daß sie vorankommt!". Mit diesem wenig schmeichelhaften Satz faßte der bekannte rumänische Wirtschaftsanalyst Tue Serbanescu dieser Tage gegenüber BBC die Reformanstrengungen der Ciorbea-Regiernug zusammen.

Die Reaktionsschnelligkeit der Presse bringt die Regierungsneulinge immer wieder in Bedrängnis. Auch diesmal war eine wichtige Information - die Schwarze Liste mit den zehn verlustreichsten Unternehmen (auf ihr Konto gehen 7,5 Prozent des gesamten Verlustvolumens der rumänischen Wirtschaft) schneller an die Öffentlichkeit als an die betroffenen Unternehmen gekommen, was wie ein Blitz bei den Belegschaften einschlug.

In Kronstadt und in Focsani blockierten die dortigen Maschinenbauer und Walzwerker die Straßen, in Navodari drohten Tausende Raffineriearbeiter mit einem Protestmarsch (samt Benzinkanistern) nach Bukarest. Unruhen gab es auch in Klausenburg, in Turda und anderswo. Die Regierung ging sofort in die Knie, sagte die Erhaltung der Arbeitsplätze zu und überhaupt Stillhalten mit der Restrukturierung - mindestens bis die laufenden Verträge abgeleistet wurden. Der Pressesprecher der Treuhandanstalt FPS, der die schlechte Nachricht mitgeteilt hatte, wurde gefeuert. Dabei gibt es offenbar Käufer für die Unternehmen bzw. für überlebensfähige Unternehmensteile (so daß etliche der Arbeitsplätze erhalten werden könnten), und andererseits wird es - im Unterschied zu bisherigen Entlassungen – Abfindungen an die überflüssig gewordenen Mitarbeiter geben, die bis zu zwölf Monatslöhne betragen werden. Doch fehlt offenbar den Regierenden die Fähigkeit Krisen zu managen und Druck standzuhalten, so daß man sich fragen muß, ob die Regierung dann auch wirklich den Mumm haben wird, die in der Haushaltsdebatte tapfer verteidigten drastischen Streichungen bei den Subventionen für die Industrie (vor allem für die Förderindustrie) in die Praxis umzusetzen. Werden die Regierenden so konsequent wie jetzt gegenüber der Opposition, auch gegenüber rabiaten Kumpeln bleiben?

Die bequeme Mehrheit der Regierungskoalition im Parlament mag vor allem bei den politischen Neulingen die Illusion erzeugen, daß sich die Realität außerhalb der Regierungs- und Parlamentsmauern genauso leicht verändern läßt wie Gesetze oder Hierarchien. Das am Montag in nur zwei Stunden vom Senat verabschiedete Bankenprivatisierungsgesetz oder die am Dienstag geschehene Unterordnung der Treuhand FPS (qua Regierungserlaß) unter die Verfügungsgewalt der Regierung, sind eilige Schritte in eine vom Internationalen Währungsfonds und von der Weltbank vorgegebene Richtung. Rund eine Milliarde Dollar haben die Banker für gewissenhaft erledigte Hausaufgaben versprochen.

Um ihre ehrgeizige Reform durchzusetzen, brauchen die Bukarester Meisterschüler jedoch außer Geld auch die politische Tüchtigkeit, es zum Nutzen und zur Zufriedenheit der Nation einzusetzen.

Annemarie WEBER



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Dokument: ../hz/1520_7.htm, letzte Änderung 29.01.98, Autor: Michael Kothen