HZ Nr. 1514/ 07.03.1997
Wie korrupt sind unsere Richter und Staatsanwälte? /Justizminister und Generalstaatsanwalt streiten
Während sich der Justizminister Valerin Stoica und der Generalstaatsanwalt Nicolae Cochinescu darüber streiten, ob der Justizminister die unmittelbare Verfügungsgewalt über die Staatsanwälte habe oder ob die ministeriellen Instruktionen an die Staatsanwälte vom Generalstaatsanwalt abgesegnet werden müssen, während dieses Kompetenzgerangels verschwinden Akten aus den Gerichtsarchiven oder werden von Gerichtsschreibern auf freiem Feld verbrannt.
Präsident Emil Constantinescu hatte darum gebeten, man möge die seit Jahren liegenden Korruptionsfälle endlich aufklären, und Justizminister Valeriu Stoica hatte daraufhin eine Untersuchung beim Bukarester Munizipalgericht veranlaßt. Was die vom Minister ausgesandten Kontrolleure dort fanden bzw. nicht fanden, war am Donnerstag der Vorwoche dem Bukarester Adevarul diese Schlagzeile auf der ersten Seite wert: Im internationalen Handel mit rumänischen Kindern ist das Verschwinden von Hunderten Kilo Gerichtsakten aus dem Bukarester Munizipalgericht der stumme Beweis der Komplizenschaft der Justiz mit den Straftätern.
Die einzige Gerichtsinstanz in Rumänien, die die Adoption rumänischer Kinder durch ausländische Eltern verhandeln darf, ist das Bukarester Munizipalgericht (die Abteilungen II und IV Zivilsachen). Und aus dessen Archiv sind die Unterlagen von gut über zweihundert Adoptionsverfahren sowie andere Akten auf bis noch ungeklärte Weise spurlos verschwunden. Adevarul nimmt an, daß es sich bei den abhanden gekommenen Akten um die Unterlagen gesetzwidriger Adoptionen durch Ausländer handelt, an denen Richter, Staatsanwälte und Avokaten gleichermassen gut verdient haben. (Pro Adoptionsfall kassierten allein die Rechtsanwälte bis zu 20.000 Dollar.) Adevarul berichtet daß die Vorbereitung einer Adoption richtige Firmen übernahmen, die von der Besorgung der vorgeschriebenen Untersuchung des sozialen Umfelds, aus dem das für die Adoption vorgesehene Kind stammte, und bis zur gütigen Einstimmung der Richter alles erledigten für die - aus rumänischer Sicht: potenten - Adoptiveltern aus England und den USA. Adevarul verdächtigt die Richter und Anwälte, die Akten verschwunden gelassen zu haben, denn nur Gerichtsangestellte haben ungehinderten Zugang zum Gerichtsarchiv, und nur sie konnten die etwa 250 Aktenbündel unbemerkt aus dem Gerichtsgebäude hinausschleppen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat inzwischen den Fall zur Untersuchung übernommen. Sie beschäftigt sich aber auch mit einer Angelegenheit aus den eigenen Reihen: In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar Wurde die Sekretärin der Staatsanwaltschaft von Jassy, Cornelia Nicolau, von einem zufällig vorbei gekommenen Polizisten dabei ertappt wie sie zusammen mit zwei Freunden auf freiem Feld Akten verbrannte, die von ihrer Arbeitsstelle stammten und diverse Zivil- und Strafsachen betrafen. Es handelte sich um etwa 30 Aktenbündel aus den Jahren 1993-1994, von denen Cornelia Nicolau erklärte, sie habe sie seinerzeit zur Aufarbeitung nach Hause genommen, dann aber vergessen. Aus Angst, deswegen gerügt zu werden, habe sie die Papiere jetzt verbrennen wollen. Dadurch hat sie sich allerdings erst recht strafbar gemacht denn die Vernichtung amtlicher Schriftstücke wird gerichtlich geahndet.
In einem Adevarul-lnterview von Dienstag, dem 4. März, hat Generalstaatsanwalt Nicolae Cochinescu die Angelegenheit heruntergespielt und mit dem Finger auf seinen Kontrahenten, den Justizminister, gezeigt: Der Fall Cornelia Nicolau werde aufgebauscht, während man vom Verschwinden der Adoptionsakten aus dem Bukarester Munizipalgericht nichts mehr höre, obwohl in diesen Fall Richter und Rechtsanwälte verwickelt seien.
Horst WEBER