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Dieter SchlesakDie Dracula-Legende10. Der "Untote" und Wiedergänger im Roman und im Film. Rettung und Wiedergutmachung der ungelebten Liebe?Stoker und die vielen Filme stellen ihn mit recht als Wiedergänger und Hasser dar. Ein außerweltliches unheimliches Porträt des Rächers, ein ressentimentsgeladenes Ungeheuer der Geschichte, das jede Nacht ein anderes menschliches Wesen anfällt, und es infiziert, daß es auch zum Vampir wird, so daß die tödliche Blutsauger-Krankheit rapide fortschreitet. Und was ist Geschichte anderes als Revanche, Rache, Ressentiment, daher Gemetzel um Gemetzel. Ob nun 1914, 1933. Oder Kommunismus als Rachephänomen, Widerständler, die dann in ihrem roten Reich ihre ehemaligen Peiniger übertrafen. Coppola setzt in seinem Film ja sogar die von uns allen gefürchtete Blutkrankheit Aids wie ein die aus dem Gleichgewicht geratene Natur rächendes Weltuntergangssyndrom ein: Ja, das löst er filmisch großartig: der wunderbaren barocken Bilderflut mit Macbeth-Sequenzen unterlegt er mikroskopische Aufnahmen von Blutplasma: Dracula als Allegorie für die Pest unserer Tage. Und das Publikum stürmte 1992 die Kinokassen. Die professionellen Vampirologen "Vampire Research Center" in den USA konnten sich vor Anrufern kaum retten. Vamp-Mode im schwarzroten Schauerlook in den Boutiquen. Auf Partys übte man den "Tanz der Vampire". Bei Stoker ist die Infektion noch sexual-okkult: durch die Ansteckung eine quälende Unsterblichkeit zu erhalten, untot im Bioplasmakörper; und die Untoten bedrohten das Universum. In England auf seinen neuen Gütern wütete der Liebes-Vampir weiter. Mina berichtet in ihrem Tagebuch über die Ansteckung der somnambulen Lucy: " ... fiel das Silberlicht des Mondes auf eine zurückgelehnte schneeweiße Gestalt... mir schien es, als ob etwas Dunkles hinter der Bank stünde, auf der die weiße Gestalt saß, und sich über sie beugte...etwas langes Schwarzes ... "Lucy, Lucy", schrie ich angstvoll, und jenes Fremde hob den Kopf. Von meinem Platz aus sah ich ein bleiches Gesicht und rot leuchtende Augen... Ihre Lippen waren geöffnet, und sie atmete nicht so sanft wie üblich, sondern in langen keuchenden Zügen... da legte sie wieder die Hand an den Hals und stöhnte... stöhnte und seufzte... sie wies zwei kleine rote Stellen am Hals auf, wie Nadelstiche, und auf dem Kragen ihres Nachthemdes leuchtete ein Tropfen Blut." Da kommt als Retter in der Not der Irrenarzt, Aufklärer und Vampirologe Prof. van Helsing, den der Irrenhausdirektor Dr. Seward, ein Verehrer Lucys und Schüler Van Helsings zu Hilfe ruft. Sewards Klinik liegt gleich neben dem von Vlad über Harker gekauftem Haus. Helsing stellt seine Theorien auf, versucht Lucy zu heilen. Doch sie stirbt. Es folgt die gräßliche Prozedur einer Grabschändung, man kennt sie aus Vampirgeschichten: im Sarg wird der Untoten (oder Scheintoten) Lucy ein Pfahl ins Herz gerammt, die Irrenärzte Seward und Van Helsing trennen ihr den Kopf vom Rumpf, um sie, die nun ebenfalls Infizierte und Untote, im Tode zu "erlösen". Mina hat einen Schock, sie wird zur "Erholung" in Sewards Klinik eingeliefert. Doch Dracula ist hinter ihr her. Prof. van Helsing stellt nun eine vernünftelnde Koalition und Expedition auf, um den Meister der Un-Toten zu liquidieren. Unter der Fahne der Wissenschaft und der Ratio. Van Helsing, Irrenarzt, ontologischer Zensor und Seelen-Polizist, hat selbst Angst, ja, ist selbst angesteckt vom Jenseits-Virus. Er ist die eigentliche Gefahr, da er all diese tatsächlichen Vorgänge und Ängste zu "Entartungen" deklariert, sie bekämpft, jedoch eine Mission daraus macht, eigentlich sich selbst bekämpft, seine Bewußtseinsspaltung, nichts klar aussagt, nicht einmal mit welchem Gegner man es zu tun hat! "... Nichts zu den anderen, die so nachdrückliche Fragen stellen. Wir müssen gehorchen, und Schweigen ist Teil des Gehorsams, und Gehorsam wird dich sicher und gesund in die liebenden Arme zurückführen, die auf dich warten." Ein Zwiespalt, der nicht eingestanden wird, stärkster Masken bedarf, nämlich tyrannisches Gebaren. So ist am Schluß im Roman Van Helsing das eigentliche rastlose Zivilisations-Ungeheuer der gespaltenen Seele, der blasse nächtig durch die Straßen Londons schleichende Transsylvan dagegen ein bedauernswerter Greis. In Film Coppolas aber ist der Fürst Vlad jung, oh Wunder: in echtem Liebesfieber für Mina entbrannt Liebend wird er auch sterben können. Keinen eigenen Tod hat der, der nicht lieben kann, der haßt das, was er nicht lieben kann, will es zerstören, die ganze Realität, die sich ihm entzieht. Bei Stoker ist es noch die unheimlich kalte Arme Seele Dracula, bei Coppola aber wird dieses Kalte Herz vom eifernden Van Helsing, dem Wissenschaftler und Psychiater verkörpert. Und auch in Polanskis Film "Tanz der Vampire" der von allen vielleicht am meisten Spaß macht, weil er uns über das Grausige lachen läßt, Ironie und Komödie einsetzt, da wird alles zur verkehrten Welt, ein Sarg wird zum Bob, eine Salami dient als Keule, die den Falschen trifft, der Wolf wird von einem Menschen gebissen. Das Irrenhaus ist im Kopf des Dr. Dr. Dr. h.c., der hier Prof. Ambronsius heißt, mit hirnrissigen Fledermaus-Theorien, die er an Ort und Stelle in Transsylvanien "beweisen" will. Der einiges entdeckt, doch sich um die Folgen seiner Entdeckung nicht schert, sogar selbst infiziert wird. Anstatt Fledermaus, kann man auch Genmanipulation oder Atomkraft sagen, Wissenschaft und Technik als eigentliche Gefahr für die Erde. Und je mehr aufgedeckt wird, umso näher sind wir dem Untergang. Bedeutungsschwer erklingt eine Stimme aus dem Off: "... da wußte Professor Ambronsius noch nicht, daß er das Böse, das er für immer zu vernichten hoffte, mit sich schleppte. Mit seiner Hilfe konnte es sich endlich über die ganze Welt ausbreiten." In Stokers Roman flüchtet Dracula noch vor der "wissenschaftlichen" Vernichter- Expedition des Vampirologen Van Helsing in seinem Sarg gesichert mit dem Schiff nach Galatz, dann über den Sireth und die Bistritz nach Siebenbürgen zum Borgo-Paß. Van Helsing und seine Mannschaft hinterher. Die müssen apokalyptische Schneewehen, Klüfte, Wolfsrudel, Geister und Vampire, Un-Tote vor allem, eine ganze Heerschar, die der Verfolgte schickt, überwinden! Da die Verfolger aber praktisch, irdisch initierter sind, überwinden sie das Okkulte der Natur, ihre letzten Elementargeister. Es gelingt ihnen auch, den Zigeunerkonvoi zu überraschen, der den Sarg des die Zeit Überlebten transportieren. Sie öffnen den Sarg und durchstoßen voller Haß und Abscheu mit einem Pfahl das Herz. Der Körper des Untoten zerfällt zu Staub. Bei Coppola und in anderen Filmen ist die Therapie überzeugender... Die Vlad liebende Mina, seine aus der Vergangenheit wiedergekehrte Frau Elisabeth, führt unter Tränen aber tapfer die Operation durch, Liebe erlöst den Geist: sie schlägt Vlad mit einem einzigen Schwertstreich den Kopf ab. Im persönlichen Weltuntergang verlieren die Armen Seelen ihren Zustand als unruhig schweifende Phantome, die weder leben noch sterben können. Die Grenze jedenfalls zwischen Leben und Tod fällt; der verdammte Untote der Geschichte darf durch Liebe sein somnambules Gespensterdasein verlassen. Ende auch der gestundeten Zeit: Wie eine Metapher auch für unsere Gegenwart: alles Entscheidende liegt jenseits jeder bisherigen Erfahrung. Bei Heiner Müller heißt es: "Stehende Figuren (Götter Denkmäler Typen) sind als Katalysatoren brauchbar, wenn Erfahrung die Geschichte überholt hat ... wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf einer neuen Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten." |