Ballade von dem sächsischen Pfarrer
Stephan Ludwig Roth


Auf dem Klausenburger Marktplatz trotzt
In Ketten geschlagen der Pfarrer Roth.
Ein gutes Essen wird ihm vorgesetzt.
Das letzte. Drei Stunden vor seinem Tod.
Zwölf Szekler Burschen in großer Parade
Halten die Wacht und ordnen den Verkehr,
Und wenn die Menge gröhlend aufheult,
Blitzt ihr Bajonett auf dem Gewehr.
Doch der Pfarrer sitzt wie in seiner Studierstube
Und kostet zum Henkersmahl den ungrischen Wein.
Er ist rot und gut. Nur die Sonne färbt ihn blutig.
Eine Glocke verhallt. Wie spät mag es sein?
Er borgt die Uhr von einem der Soldaten
Und legt sie vor sich auf den tannenen Tisch.
Da berührt der Geistliche Hintz seine Schulter:
"Herr Bruder, schon naht... gebieterisch...
Eure Seele...", er stockt mit klappernden Zähnen
Und blättert in seinem Gebetbuch und schluckt
Und starrt auf den unbarmherzigen Zeiger,
Der vorwärts und immer vorwärts zuckt.
Der Meschener Pfarrer greift zu der Feder,
Auch ein Tintenfaß hat man ihm hingestellt.
Dann schreibt er: "Ihr vielgeliebten Kinder,
So nehm ich denn Abschied von der schönen Welt.
Ich lass' Euch als Erbteil nur meinen Namen
Doch ein guter Name ist kostbares Gut,
Ein wuchernd Pfund für Kinder und Enkel,
Auf dem der Segen der Ahnen ruht.
Haltet zusammen und haltet die Treue
Jeder Stunde mit ihrem eisernen Gebot!
Fürchtet niemand, aber liebt die Menschen!
Gott schütze mein Volk! Stephan Ludwig Roth."
Horch! Eine Kompanie mit gedämpfter Trommel.
Sie stehn. Habtacht! Sie schultern das Gewehr.
Dann führen sie klirrend den Roth in ihrer Mitte,
Der Pöbel läuft johlend hinterher.
Hinauf zur Zitadelle. Da schimmern die Gärten,
Die Hügel im saftigen Frühlingsgrün.
Da stutzt der Roth und trinkt mit den Augen
Entzückt das ewige Werden und Blühn.
Hier stand er als Jüngling und grüßte die Lande
Und schwenkte den Hut der gastlichen Stadt,
Hier reiften ihm einst die herrlichsten Plane,
Von denen er keinen vergessen hat.
Habtacht! Setzt an! Die Gewehre rasseln.
Jetzt, Sachs, zeig! wie steht's mit dem Mut?
Der Roth stößt zurück die Augenbinde,
Er schleudert ins Gras den breitkrempigen Hut.
Er steht wie ein Fels und sieht nur die Berge,
Die Hügel, die Gärten, die treulose Stadt -
Da krachen die Schüsse in eisiger Stille,
Da zwingt sie ins Knie auch sein letzter Wille,
Der die Krone des Lebens errungen hat!


Adolf Meschendörfer, 1928


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Dokument: ../ge_mu/blb_treue.htm, erstellt am 05.04..97, Autor: Udo-Jürgen Weber, letzte Änderung am 15.04.03 von Dirk Beckesch